Oberlandesgericht Karlsruhe – Az. 12 U 105/12

Falsche Leistungszusage durch einen Mitarbeiter – Krankenkasse muss haften

Für viele Menschen ist die Kommunikation mit ihrer Krankenkasse ein regelrechter Spießrutenlauf. Sie werden am Telefon von Mitarbeiter zu Mitarbeiter verwiesen, und keiner davon kann ihnen eine konkrete Aussage geben oder sogar eine Leistung zusagen.

Doch es kann auch anders laufen: Der Kunde bekommt einen vermeintlich sachkundigen und entscheidungsfreudigen Mitarbeiter der Krankenkasse an den Hörer, der dann die geforderte Leistung auch gleich verbindlich zusagt. Gleiches kann übrigens auch per Brief, E-Mail oder Online-Formular geschehen.

Der Versicherte wähnt sich schon auf der sicheren Seite, doch die Ernüchterung folgt auf dem Fuße. Es kommt ein Schreiben der Versicherungsgesellschaft, in dem deutlich gemacht wird, dass der Versicherte gar nicht die Befugnis zum Erteilen einer solchen Leistungszusage gehabt habe und man den Vorfall bedauere.

Kann man die Versicherung nicht auf ihrer Leistungszusage „festnageln“? Schließlich gehört der Mitarbeiter zum Unternehmen, der diese Zusage getätigt hat. Mit einem solchen Fall musste sich das OLG Karlsruhe befassen. Es ging um den folgenden Sachverhalt:

Die Klägerin führte zunächst ein Beratungsgespräch mit einem Mitarbeiter einer gesetzlichen Krankenversicherung. Nach diesem Beratungsgespräch wechselte sie zu der besagten Versicherung, welche im hier vorliegenden Fall die Beklagte darstellt.

Mitarbeiter sichert Übernahme sämtlicher angefragter Kosten zu

Im betreffenden Gespräch kam die Sprache darauf, dass sich die Klägerin wegen ihrer Krebserkrankung im naturheilkundlichen Bereich behandeln lässt. In diesem Zusammenhang kaufte sie immer wieder diverse Nahrungsergänzungsmittel, Vitamine, Mineralien etc.

Der Mitarbeiter sagte ihr die Erstattung sämtlicher Ausgaben zu. Die Klägerin reichte fortan für ihre Einkäufe und Behandlungen regelmäßig Belege bei dem besagten Mitarbeiter der Krankenkasse ein, um sich die Kosten erstatten zu lassen.

Mitarbeiter bezahlt aus eigener Tasche

Was die Klägerin nicht wusste: Die Zahlungen für die Erstattungen kamen gar nicht von der Krankenkasse, sondern aus dem Privatvermögen des Mitarbeiters. Dieser hatte offensichtlich selbst herausgefunden, sich zu weit aus dem Fenster gelehnt zu haben und der Kundin Leistungen zugesagt zu haben, welche die Versicherungsgesellschaft grundsätzlich gar nicht offeriert.

Daher hatte er die Erstattungsforderungen zunächst aus seinem privaten Vermögen beglichen. Ob er dies aus einem Schamgefühl oder aus Angst vor dem Verlust seines Arbeitsplatzes tat, konnte im Nachhinein nicht mehr eindeutig geklärt werden.

Zahlungen blieben aus und Versicherte beschwert sich

Fakt ist jedoch: Nachdem der Mitarbeiter irgendwann nicht mehr dazu in der Lage war, sämtliche Erstattungsleistungen für die Kundin aus seinem Privatvermögen zu erbringen, häuften sich die Rückstände an.

Irgendwann wollte die Versicherte dies nicht mehr hinnehmen und wandte sich an die Krankenkasse. Erst jetzt erlangte die Kasse Kenntnis von der eigenmächtigen Vorgehensweise ihres Mitarbeiters und lehnte eine weitere Kostenübernahme ab.

Klägerin nimmt Versicherung auf Aussagen des Mitarbeiters in Anspruch

Da der Mitarbeiter gegenüber der Klägerin die Übernahme sämtlicher Kosten aus der medizinischen Versorgung zugesagt hatte, gab sich die Klägerin mit dieser Aussage nicht zufrieden. Sie verklagte die Versicherung auf Gewährung der Leistungen.

Der Fall wurde zunächst vor dem Landgericht Mosbach verhandelt. Der Rechtsvertreter der Versicherung führte im Prozess aus, dass die Klägerin eine Mitschuld treffe. Laut Meinung der Versicherung sei dieses Mitverschulden dadurch entstanden, dass die Zusage des Mitarbeiters über die Übernahme sämtlicher Leistungen bzw. deren Kostenerstattung derart lebensfremd sei, dass die Klägerin auf diese nicht hätte vertrauen dürfen.

Landgericht Mosbach unterstützt die Versicherung

Das Landgericht Mosbach vernahm in diesem Zusammenhang zunächst mehrere Zeugen und kam dann zu der Ansicht, dass die Klägerin zumindest eine Teilschuld treffe. Somit verurteile das Gericht die Krankenkasse, von den gegenüber der Kasse geltend gemachten Kosten i. H. v. ca. 7.500 Euro lediglich 2.500 Euro zu erstatten. Trotzdem wollte sich die Krankenkasse mit dem Urteil nicht zufrieden geben und ging in die nächste Instanz.

Oberlandesgericht Karlsruhe gibt Versicherten Recht

Die Berufung vor dem OLG Karlsruhe hatte jedoch keinen Erfolg. Zunächst stellte das Gericht fest, dass es sich bei der Beklagten um eine Körperschaft des öffentlichen Rechts handele, deren Tätigkeit als öffentliche Sozialversicherung hoheitlicher Leistungsverwaltung zuzuordnen ist. Daher hafte die Krankenkasse gemäß § 839 BGB i. V. m. Artikel 34 GG bei sämtlichen Amtspflichtverletzungen.

Weiterhin bemerkte das Gericht: Bei der Wahrnehmung der ihr übertragenen Aufgaben als gesetzliche Krankenversicherung obliegt der Beklagten und ihren Mitarbeitern, die als Beamte im haftungsrechtlichen Sinn anzusehen sind, die Verpflichtung zu einem gesetzeskonformen Verwaltungshandeln.

Krankenkasse als Anstalt des öffentlichen Rechts haftet für Mitarbeiter

In diesem Zusammenhang sei die Beklagte dazu verpflichtet, jeden Versicherten in zutreffender Art und Weise über seine Rechte und Pflichten zu beraten. Sämtliche Auskünfte und Erklärungen müssen grundsätzlich richtig, klar, unmissverständlich, vollständig und eindeutig erteilt werden.

Die Aussagen des betroffenen Mitarbeiters verletzen die Amtspflicht für eine zutreffende Beratung über den Umfang der Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung.

Versicherte dürfen sich auf Aussagen verlassen

Grundsätzlich, so das Gericht weiter, könne der Bürger davon ausgehen, dass die ihm erteilten Auskünfte richtig seien und die entsprechende Verwaltung rechtmäßig arbeite. Hieraus ergebe sich eine sogenannte Verlässlichkeitsgrundlage, die immer dann verletzt sei, wenn der entsprechende Mitarbeiter die Unrichtigkeit seiner Auskunft kenne oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kenne.

In der Folge ging das Gericht auch auf die Aussage der Versicherung ein, die Klägerin hätte die üblichen Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung kennen und somit merken müssen, dass die vom Mitarbeiter versprochenen Leistungen grundsätzlich lebensfremd seien.

Komplexität der Sozialversicherung muss vom Versicherten nicht durchdrungen werden

In diesem Zusammenhang wies das Gericht auf die Komplexität des deutschen Sozialversicherungssystems und die Vernetzung der einzelnen Versicherungsformen untereinander hin. Somit könne nicht davon ausgegangen werden, dass einzelne Details zum Umfang, beispielsweise einer Krankenversicherung, der Öffentlichkeit in vollem Umfang bekannt seien.

Der Klägerin hätte sich also nicht zwingend die Unrichtigkeit der Auskünfte, die der Mitarbeiter erteilt hatte, aufdrängen müssen. Zudem hätte sich die Klägerin mehrmals telefonisch bei dem betreffenden Mitarbeiter erkundigt, ob die begehrten Leistungen von der Versicherung übernommen werden würden. Dieser hätte die Anfragen jeweils bestätigt, so dass die Klägerin die Richtigkeit der Auskunft nicht hätte anzweifeln müssen.

Schlussendlich stellte das Gericht fest, dass der Mitarbeiter der Krankenkasse vorsätzlich und schuldhaft gehandelt habe. Er hatte, als er die Forderungen der Kundin nicht mehr aus eigener Tasche begleichen konnte, diese mit verschiedenen plausibel erscheinenden Erklärungen vertröstet, zum Beispiel damit, dass Systemumstellungen der Buchhaltung, Fehlbuchungen etc. vorgenommen wurden. Im Ergebnis verurteilte das Gericht die Versicherungsgesellschaft, der Kundin ihren Schaden zu ersetzen.

Sind Leitungen gesetzlich ausgeschlossen besteht keine Zahlungspflicht

Allerdings erkannte auch das OLG Karlsruhe in diesem Fall nur eine Schadenssumme in Höhe von 2.500 Euro statt der von der Klägerin geforderten 7.500 Euro an. Grund dafür ist, dass sämtliche über die 2.500 Euro hinausgehenden Kosten nach dem Krankenkassengesetz in Deutschland grundsätzlich Leistungen darstellen, die nicht erstattungsfähig sind. Somit erhält die Klägerin letztendlich 2.500 Euro von der Versicherung ausgezahlt.

Richtungsweisend ist dieses Urteil insofern, dass die Versicherung für die Fehlauskunft ihres Mitarbeiters einstehen muss. Wem ähnliches widerfährt, der hat somit in der Zukunft gute Chancen, die Versicherung auf der Aussage ihres Mitarbeiters festzulegen und somit die versprochenen Leistungen einzufordern.